Liebe*r

Hannah Bergmann

Liebe*r ist ein Hilfsprojekt für das ganze diverse Spektrum häuslicher Gewalt. Es vernetzt Hilfesuchende in einer Community, es informiert und hilft in Notfällen. Die App bietet Menschen, die unter häuslicher Gewalt leiden, Informationen und Hilfe durch ausgewiesene Unterstützende und professionelle Helfer*innen. In der frühen Phase informiert sie durch einen redaktionellen Teil mit Blogartikeln und Erfahrungsberichten. Die App ist gedacht für alle Menschen mit Hilfebedarf, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Ausrichtung und ihrem Lebensmodell.

„Diversity ist für mich ein 100%ig positiv konnotierter Begriff. Sein zu können, wer man ist, ohne Vorurteile, ohne Sexismus, ohne Rassismus, ohne Homophobie.“

Hannah Bergmann

Um häusliche Gewalt wirksam zu bekämpfen, ist die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nicht-staatlichen Institutionen erforderlich. Opfer von Partnerschaftsgewalt sind zu über 81 Prozent Frauen. Die Hälfte von ihnen hat in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Tatverdächtigen gelebt. Das zeigt die aktuelle Kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes. Demnach wurden 2019 insgesamt 141.792 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt (2018: 140.755). Knapp 115.000 Opfer waren weiblich.

Weiterlesen: Häusliche Gewalt. Frauen vor Gewalt schützen.

Interview

Wie kamst du auf die Idee die Plattform Liebe*r zu entwickeln?

Mich hat am meisten das Problem der häuslichen Gewalt interessiert. Nur sehr selten ist dieses Problem für uns im Alltag sichtbar. Erst, wenn die Gewalt ins Unerträgliche steigt, melden sich die Opfer und bitten um Hilfe. Wie muss es also sein, in Pandemiezeiten dauerhaft zu Hause bleiben zu müssen, ohne eine Ausweichmöglichkeit ins Einkaufszentrum, zur Apotheke, zu Ärzt*innen oder zum Kindergarten, die dem Menschen, der unter Gewalt zu leiden hat, eine Flucht vor dem*der Aggressor*in bieten könnte. Diese Erkenntnis hat mich zu Anfang sehr beschäftigt und aufgeweckt. Als ich etwas tiefer in das Thema eingedrungen bin, sind mir Lücken in den Hilfsangeboten aufgefallen. Ich habe mir dann zur Aufgabe gemacht, diese Lücken durch die Plattform Liebe*r zu füllen. Liebe*r, wie der Name schon verrät, soll nämlich eine Plattform für alle Menschen sein, die unter Gewalt zu leiden haben. Dabei ist es egal, ob die Gewalt physisch oder psychisch stattfindet und welche Sexualität, Religion, Herkunft oder welches Geschlecht die betroffene Person hat.

Du hast viel über bestehende Hilfen recherchiert und Interviews geführt. Was hat dich dabei besonders überrascht?

Mich haben viele Dinge überrascht, da ich mich vor dem Projekt noch nicht sehr umfangreich mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Eine Sache besonders: Bei häuslicher Gewalt bin ich immer von einer Frau in der Opferrolle ausgegangen. Genau das ist es, was uns immer wieder vermittelt wird. Dass eine von fünf Personen, die unter Gewalt zu leiden hat, männlich ist, hat mich deshalb wirklich sehr überrascht. Im Nachhinein war diese Erkenntnis vermutlich am wichtigsten für das gesamte Projekt.

Wo siehst du die Weiterentwicklung deiner Plattform im Gegensatz zu den bestehenden Hilfen? Welche Unterschiede gibt es zu den bestehenden Hilfen?

Zunächst bin ich mir sicher, dass es schon tolle Hilfsangebote auf dem Markt gibt. Allerdings denke ich, dass den bisherigen Plattformen und Hilfsangeboten noch die nötige Diversität fehlt. Es gibt viele Angebote, die unterschiedliche Gruppen ansprechen sollen. Jedoch verwirren diese Angebote vielleicht mehr, als dass sie im Endeffekt helfen. Man könnte sich fragen, welcher Gruppe man denn jetzt angehört, ob das eigene Problem wirklich groß genug ist, um sich zu melden und, ob man sich als Mann überhaupt melden darf. Deshalb fand ich es wichtig, in Liebe*r alle Hilfsangebote unabhängig von äußerlichen Faktoren zusammenzufassen.

In welcher Verbindung steht deine Plattform zu der aktuellen Pandemie?

Die aktuelle Pandemie stellt uns vor ganz neue und unbekannte Probleme. Dinge, die wir vor der Pandemie als selbstverständlich wahrgenommen haben, sind es jetzt überhaupt nicht mehr. Häusliche Gewalt gab es allerdings schon immer. Das Problem besteht deshalb natürlich weder erst seit Corona, noch durch Corona, wurde jedoch durch die Pandemie verschlimmert. Menschen, die zu Hause nicht sicher sind, aber zu Hause bleiben müssen, sind also vermehrt in Gefahr. Wie soll man sich denn Hilfe holen, wenn man im schlechtesten Fall isoliert wird? Wenn man keine Ansprechpartner*innen findet? Niederschwelligkeit war deshalb im Rahmen der Ideenentwicklung sehr wichtig.

Gibt es einen Unterschied in der benötigten Hilfe für Männer* und Frauen*?

Ich würde behaupten, dass es keinen Unterschied gibt, sondern, dass alle ihrer Notlage entsprechend Hilfe erhalten. Darum geht es ja. Egal ob männlich, weiblich, divers – Ansprechpartner*innen und Hilfestellungen zu vermitteln ist erstmal geschlechtsunabhängig. Unterschiede werden genau dann gemacht, wenn die betroffene Person will, dass Unterschiede gemacht werden. Man kann sich zum Beispiel aussuchen, mit welchen Ansprechpersonen man Kontakt aufnehmen kann. Welche Thematiken vermittelt werden, und so weiter.

Was wäre dein Wunsch wie es mit deiner Plattform weitergeht?

Wünschenswert wäre es natürlich, wenn man erstmal die Hauptaussage verbreiten würde: Dass Opfer von häuslicher Gewalt divers sind. Und zu erinnern, dass es häusliche Gewalt gibt, obwohl sie für uns Außenstehende manchmal sehr leise ist. Das fände ich wichtig. Wie es mit der Idee weitergehen wird, ist noch offen.

Inwiefern spielt Diversity für dich eine Rolle beim Thema häusliche Gewalt?

Diversity ist für mich ein 100%ig positiv konnotierter Begriff. Sein zu können, wer man ist, ohne Vorurteile, ohne Sexismus, ohne Rassismus, ohne Homophobie. Negativ wird sie meiner Meinung nach dann, wenn sie nicht beachtet wird, wenn man in Schubladen denkt und den eigenen Horizont nicht erweitert. Das gilt dann eben auch in Bezug auf häusliche Gewalt. Denn diese Gewalt passiert divers und ganz unabhängig vom Geschlecht, der Religion, der Sexualität oder der Herkunft. Deshalb müssen auch mögliche, diverse Hilfsangebote geschaffen werden.

Gibt es etwas das du noch sagen möchtest?

Ich finde es wichtig, sich diese Themen bewusster zu machen. Auch, wenn man nicht selbst betroffen ist. Vielleicht ist es dann der*die beste Freund*in, der*die sich nur nicht traut, etwas zu sagen oder einzugestehen. Die Opfer müssen ernst genommen werden. Menschen wenden sich bei häuslicher Gewalt meist zunächst an ihre Angehörigen, deshalb ist es wichtig, jeden noch so kleinen Hinweis zu beachten und aufmerksam durch den Alltag zu gehen.

Studienrichtung
Gestaltung, Kommunikationsdesign B.A.
Seminarprojekt
 
Betreuung
Prof. Patricia Stolz
 
Kontakt

hannah.lea.bergmann@gmail.com